Zorn um die höllische Fastnachtsschlange

Bericht aus der Heilbronner Stimme, Ute Plückthun

HEILBRONN Spaziergang durch den Stadtteil Biberach mit mehr als 90 Teilnehmern beleuchtet konfessionelle Reibereien

Von Ute Plückthun

Als ein Fastnachtsumzug dem Pfarrer der Lutherischen die Zornesröte ins Gesicht trieb und die Katholischen heimlich über Nacht eine Marienfigur in der Kirche platzierten: In Heilbronn-Biberach, dem Ort mit den beiden dicht aneinandergedrängten Konfessionen, die sich über viele Jahrhunderte nicht riechen konnten, ging es bisweilen hoch her. Damals ernste und sogar vor Gericht endende Auseinandersetzungen, entlocken sie den heutigen Teilnehmern beim Rundgang so manches Lächeln. „Ruhe in Frieden: So heißt es auf vielen Grabsteinen“ sagt Erhard Mayer. Auch auf dem Alten Biberacher Friedhof als Start der Führung. Dort, wo konfessionelle Unterschiede am Ende keine Rolle mehr spielten. Berechtigt indessen die Frage des Pfarrers in Rente: „Warum leben wir nicht auch in Frieden?“ Ein Denkanstoß, der die über 90 Teilnehmenden auf dem Weg durch die örtlichen Wirren im Sog der Weltgeschichte begleitet.

Verlassen „Ab 1407 kam der Ort unter Wimpfener Herrschaft“, erzählt Thomas Böhringer vom Interessenkreis Heimatgeschichte Biberach. Ab 1520 predigte dort Erhard Schnepf und brachte die Reformation in die Stadt. Um 1585 wurde Biberach evangelisch. „Ab 1590 gab es nur noch evangelische Gottesdienste, aber ein Teil des Dorfes ist katholisch geblieben.“ Am Deutschhof erzählt er von schicksalshaften Zeiten, als Tillys Truppen den Ort 1622 vor der Schlacht bei Wimpfen im Dreißigjährigen Krieg plünderten und 1635 auch noch die gefürchteten Kroaten kamen. Die Bewohner ergriffen die Flucht. „Von 1635 bis 1650 war Biberach verlassen. Erst zu Ostern kehrten 19 Männer und fünf Frauen zurück.“ Weil die Schulden an die Schweden nicht bezahlbar waren, verkaufte Wimpfen den protestantischen Ort an den französischen Generalmajor Thomas von Klug. Und der war katholisch.
Die skurrile Anekdote von dessen lebenslustiger Witwe lässt die Gäste schmunzeln. Ganz in katholischer Tradition zog sie an Fasching mit den protestantischen Bewohnern jauchzend durch den Ort. Der Pfarrer tobte vor Zorn und wetterte im Gottesdienst von der „höllisch satanischen Fastnachtsschlange“. Das wurde der Majorin von Klug erzählt – und daraufhin tobte auch sie. Ihrem Recht entsprechend, enthob sie den Pfarrer des Amtes. Um ihr beim Rausschmiss nicht helfen zu müssen, versuchten es die Biberacher mit Volltrunkenheit – erfolglos.

Zum Guten 1681 erwarb der Deutsche Orden Biberach und blieb bis 1805. Ein Stachel im evangelischen Ort, der zu weiteren Spannungen führt. Historische Zeitzeugen treten am Röhrenbrunnen und vor dem evangelischen Kirchturm auf, klagen über Bevorzugung der Katholiken und wortbrüchigen Orden. Die Evangelischen müssen mit ansehen, dass ihr Gotteshaus als Simultankirche auch von den Katholiken genutzt wird. Der Ärger ist programmiert, als sie mitten in der Nacht eine Marienfigur hineinstellen.
Der Kompromiss: Die Madonna darf nur zur Messe heraus, sonst bleibt sie in der Sakristei. Vor der evangelischen und in der katholischen Kirche erzählt Böhringer, wie Biberach ab dem Jahr 1805 württembergisch – und so wieder evangelisch wird. Doch es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis die baufällige und bis auf den Kirchturm abgerissene evangelische Kirche wieder aufgebaut wird und sich die Katholiken eine eigene Kirche leisten können. Heute heißen sie St. Cornelius und Cyprian und stehen einträchtig nebeneinander.

Die Führung hat der evangelischen Kirchengemeinderätin Annette Kaiser aus Heilbronn-Kirchhausen gefallen. Die Rolle der Majorin ist ihr neu. Auch ihre katholische Kollegin Gisela Egner-Walter aus Biberach findet es „interessant, wie es früher war“. Sie betont die heutige Ökumene: „Wir helfen immer zusammen. Gott sei Dank hat sich vieles zum Guten verändert.“ „Wir helfen immer zusammen.“ Gisela Egner-Walter

Bildinformation: Vor dem evangelischen Kirchturm ereiferten sich historische Zeitzeugen aus protestantischer Sicht einst über die Zustände unter dem Deutschen Orden. Foto: Ute Plückthun

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