Heilige Maria
St. Cornelius und Cyprian
Sie ist eine weitere Kostbarkeit in unserer Kirche. Der Name des Künstlers ist nicht bekannt, die Lindenholzfigur wurde um 1500 geschaffen. Aus dem Faltenwurf des Gewandes und anhand der Mondsichel mit dem Stirnband zu Füßen Marias lassen sich Ulmer Einflüsse erkennen. Das Gesicht Marias zeigt auch Ähnlichkeit mit den Bildwerken von Hans Seyfer, der den bekannten Hochaltar in der Heilbronner Kilianskirche schnitzte. Beide Merkmale lassen den Schluss zu, dass der Künstler aus der Ulmer Gegend stammte und wie Hans Seyfer um 1500 in Heilbronn arbeitete. Den Auftrag für diese Figur gab der Deutschorden.
Hartmut Gräf schreibt in dem Buch „Unterländer Altäre“ über diese Marienstatue: „Diese Figur ist von hervorragender Qualität. Sie gehört zum Besten, was in unserem Raum an gotischer Plastik anzutreffen ist.“
Wer sich in Biberachs Vergangenheit auskennt, weiß, dass die kath. Kirchengemeinde immer arm war und sich niemals in der Lage sah, eine solche Kostbarkeit käuflich zu erwerben. Es erhebt sich die Frage: Wie kam die Marienfigur in die Biberacher Kirche? Um darauf eine Antwort zu finden und die Zusammenhänge zu verstehen, ist ein Rückblick in die Geschichte nötig.
Im Jahre 1681 erwarb der Deutschorden, der seinen Sitz auf Schloss Horneck über Gundelsheim hatte, das Dorf Biberach. Biberach, das seit 150 Jahren inzwischen rein evangelisch war, bekam nun einen katholischen Landesherrn. Bei der Übernahme am 16.09.1681 sicherte der Deutschorden seinen evangelischen Untertanen zu, in Biberach das alte Recht weiterhin gelten zu lassen und vor allem deren Religion nicht zu beschränken. Auch wolle er immer ein gnädiger Landesfürst sein. Jahre später erinnerte sich der Landesherr nicht mehr daran. Zuerst wurde das Amt des Schultheißen, des Gerichtsbürgermeisters, des Feldschützen, des Schärfers u.a.m. nur noch an Katholiken vergeben, und schließlich verlangte die Herrschaft, dass das evangelische Gotteshaus auch den wenigen zugezogenen Katholiken zur Verfügung stehen sollte. Dies verstieß damals ganz klar gegen geltendes Recht. Zudem hatte der Landesfürst das Versprechen gegeben, das alte Recht zu achten. Der Landesherr jedoch setzte sich darüber hinweg und drückte durch, dass für die katholischen Einwohner im evangelischen Gotteshaus ein Altar, ein Himmel, verschiedene Heiligenbilder und Kirchenfahnen aufgestellt wurden. Dazu kam gegen 1740 aus Gundelsheim noch die heutige Marienstatue. Die Madonna sollte vor allem den Besitzanspruch der Katholiken in der evangelischen Kirche dokumentieren. Diese Maßnahmen erbitterten die Protestanten so sehr, dass es zu Handgreiflichkeiten kam. Als sie ihre Hilflosigkeit erkannten, wandten sie sich an das damalige höchste deutsche Gericht, das Kaiserliche Reichskammergericht. Zwanzig Jahre dauerte es, bis das Urteil gefällt wurde. Die Protestanten bekamen zwar weitgehend Recht, der Deutschorden kümmerte sich jedoch wenig darum. Er beließ alles beim Alten. Er besaß die Macht und konnte bestimmen, was rechtens war. Wer sich auflehnte oder sich nicht fügte, wurde mit Gefängnis und Geldstrafen belegt. Ein Biberacher Bürger, der aufbegehrte, musste zum Beispiel auf Schloss Horneck erscheinen. Dort wurde er so geschlagen, dass er auf einem Ohr taub blieb. In einer Sache gab man jedoch nach. Die Marienstatue wurde nach jedem Gottesdienst in die Sakristei zurückgetragen. Damit ersparte man den evangelischen Christen den Anblick dieser Heiligen.
Als 1863 die neue katholische Kirche eingeweiht wurde, bekam die Muttergottes ihren Platz auf dem Marienaltar. Um 1890 wurde jedoch ein neuer Marienaltar angeschafft. Jetzt wurde die Statue nicht mehr gebraucht. Man verkaufte sie für drei Mark an die Familie Schauer. Bei dieser Familie ruhte sie bis 1920. In diesem Jahr entdeckte sie der Pfarrer und brachte sie wieder in die Kirche zurück.
Heute sind wir froh, diese Statue zu besitzen. Früher hat sie mehr als ein Jahrhundert lang den Dorffrieden gestört. Sie war mit Ursache für Hass und Verbitterung. An ihr entzündeten sich die heftigsten Auseinandersetzungen. An dieser Statue wollten die Einwohner, egal auf welcher Seite sie standen, ihr Engagement für den wahren Glauben beweisen. Durch ihren Einsatz glaubten sie, Gottes Willen zu erfüllen. Sie waren bereit, Beschwernisse und Opfer auf sich zu nehmen. Die Liebe und das gegenseitige Verständnis blieben dabei jedoch auf der Strecke.
Gottfried Marzinka